Montag, 31. Oktober 2016

Christian Kracht "Die Toten"

Der Schweizer Regisseur Nägeli nimmt uns in diesem Roman mit in die Filmwelt der 30er Jahre. Dort erlebt er sowohl das ungehemmte Leben mit Partys und Alkohol, aber auch die immer stärker werdende Abneigung gegen alles Jüdische, was besonders der Filmproduzent Hugenberg versinnbildlicht. Der schickt ihn nach Japan, wo er auf Masahiko Amakasu trifft, den der Leser auch bereits im ersten Teil des Romans näher kennengelernt hat. Er soll Nägeli eigentlich dabei unterstützen, den von Hugenberg gewünschten Propagandafilm oder, wie von Nägeli eigentlich geplant, einen deutsch-japanischen Gruselfilm zu drehen. Doch die Verwicklungen, die entstehen, bringen ganz andere Dinge hervor als geplant.
Christian Krachts Roman „Die Toten“ hat mich besonders durch die starke Sprache beeindruckt, die einen als Leser mitnimmt und im Kopf regelrecht Bilder zaubert. Das passt sehr gut, geht es in dem Buch doch um die Anfänge des Tonfilms und so liefert Kracht für seine Leser quasi gleich den Kinofilm im Kopf mit. 
Seine Figuren sind keine einfachen Persönlichkeiten sondern alle mit einer Vielzahl von Komplexen, Problemen und Störungen ausgestattet. Teilweise wirken seine Beschreibungen der Berliner Filmclique, in die Nägeli einmal hereingerät, fast wie eine klischierte Darstellung der frühen 30er Jahre, in die die goldenen  Zwanziger mit ihrer Vergnügungssucht und scheinbaren Lasterhaftigkeit noch hereinspielen. Dabei bedient Kracht sich auch bei realen Personen an Namen und Biographien. So beschreibt er beispielsweise mit der Figur des Hugenberg niemand geringeren als den berühmten Verleger und zeitweiligen UFA-Chef Alfred Hugenberg, der später auch Wirtschaftsminister unter Hitler war.
Mit „Die Toten“ ist Christian Kracht ein herausragender Roman gelungen, der es schafft, sowohl die kulturellen Unterschiede zwischen Deutschland und Japan (den späteren Verbündeten im Zweiten Weltkrieg) deutlich zu machen, als auch den beginnenden Siegeszug des Films zu beschreiben. Die Charaktere stellt er dabei sehr prägnant dar und nimmt den Leser mit auf eine Reise, die er so schnell nicht vergessen wird. 
Man muss sicher auch im Nachhinein noch etwas über die Geschichte nachgrübeln und sie vielleicht auch das ein oder andere mal erneut lesen, um die feinen Zwischentöne von Kracht alle mitzunehmen und die vielen Blickwinkel mitzulesen, die in der wunderbaren Sprache verborgen sind. „Die Toten“ ist sicher kein unkompliziertes Buch, doch mir hat es ausgesprochen gut gefallen. 

Hier geht es zur Leseprobe vom Verlag Kiepenheuer & Witsch. 

Jetzt dein Lieblingsbuch für den Lovelybooks Leserpreis 2016 nominieren

Es ist wieder soweit: Lovelybooks vergibt den Leserpreis für die besten Bücher des Jahres 2016! Noch bis zum 10. November 2016 könnt ihr eure Lieblingsbücher nominieren, die zwischen dem 1. November 2015 und dem 31. Oktober 2016 erstmalig auf Deutscher erschienen sind. Also, was sind eure Favoriten, wer muss dieses Jahr unbedingt die Auszeichnung erhalten? 

Freitag, 28. Oktober 2016

Jill Mansell "Vorsätzlich verliebt"

Nach der Trennung von ihrem Freund zieht Tilly kurzerhand aufs Dorf zu ihrer Freundin Erin. Dort findet sie schnell einen Job als Mädchen für alles bei Max und seiner Teenagertochter Lou, die sie beide sofort ins Herz schließt. Und auch Max’ Freund Jack ist nicht zu verachten, ein charmanter Frauenschwarm wie er im Buche steht. Doch Jack weiß um seine Wirkung und wechselt die Frauen öfter als andere ihre Unterwäsche. Und auch sonst leben in dem beschaulichen Örtchen zahlreiche kuriose und eigenwillige Persönlichkeiten, die Tilly und Erin das Leben nicht nur leichter machen.
Jill Mansells Roman „Vorsätzlich verliebt“ erfüllt wirklich alle Erwartungen an einen schönen Schmachtfetzen. Die Figuren sind durchweg sehr liebevoll beschrieben, sympathisch bis total verschroben, aber auf eine gewisse Weise alle sehr liebenswert. Neben der Hauptstory um Tilly und Jack lässt die Autorin auch alle Nebenfiguren ein eigenes und spannendes Leben führen und erzählt so viele kleine Geschichten am Rande, die einem die Figuren näher bringen und die Story sehr lebhaft machen. Dadurch ist die Lektüre eine große Freude und man gibt die Freunde, die man beim Lesen in den Personen gefunden hat, am Ende nur sehr ungern wieder her. Mansells Figuren sind keine leeren Hüllen, sie haben alle einen individuellen Charakter, der sie für die Geschichte unersetzlich macht. Das unterscheidet sie von vielen Liebesgeschichten, in den die Figuren nur Projektionsflächen für beliebige Klischees zu sein scheinen.
Ich kann „Vorsätzlich verliebt“ von Jill Mansell nur allen Fans von Liebesromanen an Herz legen, die Geschichte ist sehr schön und die Charaktere bis in die kleinste Nebenfigur durchdacht. Wer auf der Suche nach leichter Unterhaltung ist, die nicht zu klischeehaft daherkommt, ist hier auf jeden Fall richtig. 

Hier geht es zu weiteren Informationen vom S. Fischer Verlag. 

Lee Child "Die Gejagten"

Eigentlich wollte Reacher nur die neue Leiterin seiner alten Einheit bei der Militärpolizei in Virginia besuchen. Als er jedoch das Gelände betritt, ist ein neuer Major im Dienst, der in auf der Stelle wieder zur Armee einberuft und verhaftet. Angeblich wegen eines 16 Jahre alten Falls, in dem er einen Verdächtigen zu Tode geprügelt haben soll. Reacher glaubt die Geschichte nicht und versucht, dem ganzen auf den Grund zu gehen. Gemeinsam mit Major Turner, der Frau, die er eigentlich besuchen wollte und die wegen angeblicher Bestechlichkeit ebenfalls im Militärgefängnis sitzt.
„Die Gejagten“ ist der erste Roman rund um die Person Jack Reacher, den ich gelesen habe, aber er hat mich von Anfang an begeistert. Dies basiert größtenteils auf der wirklich sehr guten Charakterisierung der Hauptfigur. Reacher ist ein ehemaliger Soldat, der mit unglaublicher Intelligenz und gleichzeitig körperlicher Kraft überzeugt. Dadurch sind seine Gegner ihm schnell unterlegen. Die Geschichte fand ich dennoch nachvollziehbar und mit Major Turner stellt der Autor seinem Protagonisten eine genauso sympathische wie starke Figur an die Seite. Reacher respektiert sie und hört in vielen Situationen auch auf sie, so dass sich die Geschichte nicht in einem sinnlose Ansammlung von Gewalt und Schlägereien auswächst. Gleichzeitig ist die Story sehr spannend, da man eigentlich bis zur letzten Seite keine Ahnung hat, warum Turner und Reacher etwas angehängt werde soll und wer so verzweifelt versucht, sie aus dem Weg zu räumen. So bleibt man wirklich bis zum Schluss voll in der Story und kann das Buch kaum noch aus Hand legen. Umso logischer löst sich am Ende alles auf, so dass die ganze Handlung sehr glaubwürdig und nachvollziehbar bleibt.
Mich hat Lee Childs Thriller „Die Gejagten“ absolut überzeugt. Umso besser finde ich es, dass es bereits Band 18 ist und jetzt 17 Bände darauf warten, möglichst schnell von mir gelesen zu werden. Ich hoffe, dass noch viele weitere Leser sich von Lee Child und seinem Protagonisten Jack Reacher begeistern lassen, es ist großartige Spannungsliteratur von der ersten bis zur letzten Seite. 

Hier geht es zur Leseprobe von Jack Reachers neuestem Fall, erschienen im Blanvalet Verlag. 

Hier ist die Liste der bisher erschienen Titel von Lee Childs in der Jack-Reacher-Reihe, für alle, die wie ich jetzt sofort mit Band eins anfangen wollen:


Mittwoch, 26. Oktober 2016

Alexandra Zöbeli "Ein Bett in Cornwall"

Als Sophie erfährt, dass ihr Mann mit dem Auto tödlich verunglückt ist, bricht für Sie eine Welt zusammen. Dann findet sie kurz vor der Beerdigung einen Brief in seinen Sachen, indem er ihr erklärt, dass er dabei war, sie zu verlassen und mit der Frau, die ebenfalls im Wagen saß, ein neues Leben beginnen wollte. Jetzt brennt bei Sophie regelrecht eine Sicherung durch. Sie wirft wütend ein paar Sachen und ihren Kater ins Auto und fährt einfach los, bloß weg. In Cornwall landet sie bei einem älteren Ehepaar, das sie nach einem kleinen Unfall aufnimmt und sie gleich für den Haushalt einstellt. Langsam erholt sich Sophie von dem Schock und beginnt, sich wieder um ihr eigenes Leben zu kümmern. Und dann ist da ja auch noch Lucas, der Sophies Gefühle durcheinander bringt.
„Ein Bett in Cornwall“ von Alexandra Zöbeli ist vom Aufbau sehr ähnlich wie auch ihre anderen Romane, aber es ist ein Konzept, das wieder aufgeht. Sophie ist eine sympathische, mit beiden Beinen auf der Erde stehende Hauptfigur, mit der man sich als Leser gleich identifizieren kann. Lucas ist zwar ein Charmeur, wie man ihn aus vielen Liebesromanen kennt, aber er ist dabei nett und hat das Herz am rechten Fleck, ebenso wie Mabel und ihr Mann, die Sophie in Cornwall aufnehmen. Die Geschichte ist sehr schwungvoll und dynamisch geschrieben und hat keine Längen, auch wenn alles recht vorhersehbar ist. Aber das ist bei einem Liebesroman nicht anders zu erwarten und ich empfand das deshalb als nicht wirklich störend.

Mir hat Alexandra Zöbelis „Ein Bett Cornwall“ als locker-leichte Urlaubslektüre sehr gut gefallen, es liest sich einfach und schnell und man kommt immer gut wieder in die Geschichte rein. Damit hat das Buch meine Erwartungen voll erfüllt, als kurzweilige Lektüre für zwischendurch kann ich es nur weiter empfehlen.

Hier gibt es weitere Details zum Buch. 

Dienstag, 25. Oktober 2016

Anne Tyler "Die störrische Braut"

Kate ist Ende zwanzig, hat ein gescheitertes Studium aufzuweisen und lebt mit ihrem Vater und ihrer pubertierenden Schwester Bunny zusammen. Ihr Vater ist Wissenschaftler im Bereich Autoimmunerkrankungen und als sein Assistent, der Weißrusse Pjotr, die USA nach Ablauf des Visums wieder verlassen soll, reift in ihm ein Plan. Kate soll einfach Pjotr heiraten, dann kann der in den USA bleiben und für Kate ist auch eine Lösung gefunden. Doch so leicht macht Kate es ihm und Pjotr nicht, sie wehrt sich gegen den Plan der beiden.
Anne Tyler hat mit „Die störrische Braut“ eine wunderbar unterhaltsame und feinsinnige Neuauflage von Shakespeares Stoff „Der Widerspenstigen Zähmung“ geschaffen. Kate ist eine sehr eigenständige und moderne Frau und ihre Schwester entspricht so ziemlich dem amerikanischen Highschool-Teenager-Klischee. Doch Tyler lässt Kate eine viel stärkere Frau sein, als es Shakespeares Figur auf den ersten Blick war. Sie lässt sich nicht zwingen oder brechen, sie trifft eine sehr aktive und reflektierte Entscheidung. Am Ende lässt sie alle in einem wunderbaren, kurzen Monolog wissen, was sie zu ihrer Entscheidung bewogen hat und verweist damit all ihre Kritiker in die Schranken. Sie ist keineswegs die brave Tochter, die sich den Wünschen ihres Vaters fügt, sondern eine selbstbewusste Frau, die auch für sich die beste Lösung sucht.
Anne Tyler beschreibt die ganze Geschichte mit einer Menge Humor und Witz, die Lektüre ist sehr kurzweilig und macht einfach Freude. Dabei hat Tyler auch um die Hauptfiguren herum eine bunte Mischung an Nebenpersonal geschaffen, die der Story noch einen besonderen Unterhaltungswert geben. Ich kann jedem die Lektüre von Anne Tylers „Eine störrische Braut“ nur ans Herz legen, auch ohne Kenntnis des Originals von Shakespeare verschafft einem dieser Roman viel Spaß beim Lesen. Die moderne Version von „Der Widerspenstigen Zähmung“ ist Anne Tyler auf jeden Fall gelungen. 

Hier geht es zur Leseprobe im Knaus Verlag. 

Montag, 24. Oktober 2016

John Burnside "Wie alle anderen"

Der Ich-Erzähler in John Burnsides Roman „Wie alle anderen“ kommt aus einer Suchtklinik und muss sein Leben in den Griff kriegen. Er beschließt, das friedliche Vorstadtleben zu suchen, um endlich zur Ruhe zu kommen. Doch schnell stellt er fest, dass es gar nicht einfach ist, ein normales Leben zu führen und „normal“ in diesem Zusammenhang ein eher dehnbarer Begriff ist. Denn auch hinter den ganzen Vorstadthäuschen spielen sich Dramen ab, die er sich so nie hätte vorstellen können. So verfällt er weiter dem Alkohol und muss feststellen, dass er genauso geworden ist, wie er eigentlich nicht sein wollte, nämlich wie sein eigener Vater.
Der Erzähler in dem Roman nimmt einen mit in sein Leben, das wie ein regelrechter Trip wirkt, nach Glück kommt Verzweiflung, Selbstzerstörung durch Alkohol und neue Liebe und Zuversicht. Teilweise fällt es schwer, ihm zu dabei folgen an und man ist nie sicher, an welcher Stelle in seinem Leben man sich gerade bewegt. Ist er jetzt Jugendlicher oder ist es die Gegenwart, erinnert er sich nur oder erlebt er gerade etwas. Dadurch fällt es beim Lesen nicht leicht, die Handlung wirklich nachzuvollziehen und wenn schon nicht Sympathie, so doch irgendein Gefühl für ihn als Protagonisten aufzubringen. Für mich blieb die Hauptfigur während der ganzen Handlung sehr farblos und ich konnte zu ihm und der ganzen Geschichte keine Beziehung aufbauen. Keine Figur des Romans konnte mich berühren oder wirklich ansprechen, so dass das Buch für mich eine sehr trockene und zähe Leseerfahrung war.

Ich habe John Burnsides „Wie alle anderen“ als keine angenehme, sondern eher belanglose und etwas wirre Lektüre wahrgenommen, die mir wenig Freude gemacht hat. Mir hat die Grundidee sehr gut gefallen, mit der Umsetzung konnte mich der Autor jedoch leider nicht fesseln. 

Hier geht es zur Leseprobe im Knaus Verlag. 

Sonntag, 23. Oktober 2016

Thomas Melle "Die Welt im Rücken"

Der Erzähler in Thomas Melles Roman „Die Welt im Rücken“ beschreibt sein Leben mit bipolarer Störung. Bekannter ist die Krankheit als manische Depression und so empfindet es auch der Erzähler als den passenderen Begriff. Manische Phasen, die bei ihm bis zu einem Jahr oder länger dauern könne, wechseln sich ab mit tiefen Depressionen ab, die  ihn quasi handlungsunfähig machen. Immer tiefer rutscht er ab und kann Hilfe nur schwer akzeptieren. 
Der Autor Thomas Melle leidet selbst an der bipolaren Störung und auch wenn das Buch als Roman veröffentlicht wird, ist wohl vieles davon schlicht eigene Erfahrung. Dennoch habe ich das Buch als Roman, als -zumindest teilweise- Fiktion gelesen und mich hat es wirklich begeistert. Melle begeistert mit seiner Sprache, er reißt einen als Leser vollkommen mit, man kann sich von den Erfahrungen des Erzählers nicht mehr lösen und ist unmittelbar mit betroffen. All dies schafft er, ohne auf die simple Sensationslust zu setzen, es hat vielmehr etwas geradezu therapeutisches, dem Krankheitsverlauf zu folgen. Ob es für diese Geschichte und für diesen beschriebenen Menschen ein wirklich gutes Ende geben kann, lässt sich für mich nicht sagen. Es ist auch nicht unbedingt Sympathie für den Erzähler, die die Geschichte so nahe an einen heranbringt, es ist vielmehr die direkte und teilweise verstörende Sprache des Autors Melle, die einen das Buch nicht mehr aus der Hand legen lässt. 
Thomas Melles „Die Welt im Rücken“ ist ein herausragendes Stück Literatur, das es meiner Meinung nach vollkommen zu Recht auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises geschafft hat. Es ist so nah und unmittelbar, dass es einen auch nach Ende der Lektüre nicht loslassen will, es muss etwas sacken und man braucht etwas Zeit, das Gelesene zu verarbeiten und zu verstehen. Doch meiner Meinung nach ist dieses Buch einfach großartig, bewegend, mitreißend und sollte unbedingt viele Leser finden. 

Hier geht es zu weiteren Informationen und der Leseprobe vom Rowohlt im Verlag. 

Mittwoch, 19. Oktober 2016

Antonia Hayes "Die relative Unberechenbarkeit des Glücks"

Ethan ist zwölf Jahre alt und hat ein ganz besonderes Talent: Physik und Mathematik fallen ihm ungewöhnlich leicht, Einsteins Relativitätstheorie ist für ihn einfach nur logisch und die großen kosmologischen Zusammenhänge sind für ihn kein Problem. Begründet liegt diese Begabung vermutlich in besonderen Verknüpfungen, die sich als Baby in seinem Gehirn gebildet haben. Der Grund dafür ist jedoch kein sonderlich positiver: Sein Vater wurde wegen Kindesmisshandlung verurteilt nachdem er Ethan als Baby wild schüttelte, was zu schweren Hirnverletzungen führte. Doch Ethan weiß nichts von der Vorgeschichte und möchte endlich wissen, wer sein Vater ist.
„Die relative Unberechenbarkeit des Glücks“ ist eines der bewegendsten und zauberhaftesten Bücher, die ich bisher gelesen habe. Ethan ist eine wunderbare Hauptfigur, unglaublich liebenswert und mit einem starken Willen und Forscherdrang ausgestattet. Man muss sich beim Lesen einfach in diesen kleinen Jungen verlieben, der die Welt einfach nicht so akzeptieren will, wie sie sich ihm darstellt. Seine Mutter Claire hat sehr damit zu kämpfen, was damals mit ihm geschehen ist und ist häufig etwas überfahren von seinem Tatendrang, doch sie versucht alles, um ihn zu schützen und zu unterstützen. Die beiden nehmen einen als Leser von Anfang an mit und man möchte sie beim Lesen am liebsten vor allem Bösen bewahren, was noch auf sie zukommen könnte, so sehr wachsen einem beide ans Herz. Ethans Vater Mark hingegen ist sehr ambivalent und ich war als Leser bis zum Schluss sehr unschlüssig, was man über ihn denken soll. Die Autorin Antonia Hayes spielt hier ganz wunderbar mit den Erwartungen und Vorurteilen der Leser, die immer wieder neu justiert werden müssen.
Antonia Hayes ist mit „Die relative Unberechenbarkeit des Glücks“ ein wirklich außergewöhnliches Debüt gelungen, mit viel Leben zu ihren Charakteren und für jedes Detail der Geschichte. Mein persönlicher Höhepunkt war Ethans kleines Kaninchen          „Quark“, benannt nach ei-nem Elementarteilchen. Dies zeigt auf sehr schöne Weise die Besonderheit von Ethan, der in seinem jungen Alter bereits voll in der Physik aufgeht. Ein wunderbares Buch über Liebe, Familie und Zusammenhalt, das man unbedingt gelesen haben sollte. 

Hier geht es zur Leseprobe im Blanvalet Verlag. 

Montag, 17. Oktober 2016

Leon de Winter "Geronimo"

Mit dem Codewort „Geronimo“ sollen die Seals bestätigen, dass sie Usama bin Laden erwischt haben und eine jahrelange Jagd zu Ende geht. Der amerikanische Präsident kann vor sein Volk treten und die gute Nachricht verkünden. Doch die Welt ist nicht so einfach, sie ist nicht immer schwarz und weiß. Das muss auch Tom feststellen, dessen Ehe gescheitert ist und der als ehemaliger Seal nicht mehr an dem Einsatz teilnehmen kann, aber viele der Soldaten kennt. Gleichzeitig verbindet er mit Afghanistan eine sehr persönliche Geschichte, ein junges Mädchen, dass er schützen wollte und das von den Taliban verschleppt wurde. Ob er das Mädchen wiederfinden und in Sicherheit bringen kann, während seine ehemaligen Kollegen Jagd auf „Geronimo“ machen?
Leon de Winters Roman „Geronimo“ ist bei weitem keine einfache Kriegsgeschichte oder eine fiktive Darstellung der Jagd nach einem Top-Terroristen. Mit sehr viel Feingefühl für Stimmungen und Charaktere beschreibt er mit Tom einen Mann, der sich auf einem schmalen Grat zwischen Hoffnung und Verzweiflung bewegt, zwischen seiner Vergangenheit, die ihn quält, und einer möglichen Zukunft. Er will das Mädchen Apana unbedingt retten, weil er vor Jahren seine eigene Tochter nicht retten konnte. Diese Schuld prägt sein ganzes Handeln und zerstörte seine Ehe. Apana und Tom verbindet die Liebe zu Bachs Goldberg-Variationen, und diese Liebe zur Musik lässt sie nicht mehr los. Die Musik bildet das Gegengewicht zur Gewalttätigkeit des Krieges und ist wie ein überraschend schönes Element in der Umgebung von Terror und Verzweiflung. Diese sensible Charakterisierung der Hauptfiguren und der Situation macht das Buch zu etwas ganz Besonderem.

Mit „Geronimo“ ist Leon Winter ein ausgezeichneter Roman gelungen, der die Jagd nach dem Terroristen Usama bin Laden mit den großen Fragen der Menschen nach Liebe, Schuld und Vergebung verbindet. 

Hier geht es zu weiteren Informationen im Diogenes Verlag. 

Montag, 10. Oktober 2016

Zelda Fitzgerald "Himbeeren mit Sahne im Ritz"

Himbeeren mit Sahne im Ritz, Reisen nach Frankreich, Revuetänzerinnen, Schauspielerinnen, das Leben der Flapper in den 20er Jahren. All das beschreibt Zelda Fitzgerald in ihren Geschichten auf eine unvergleichliche Art. Zu Lebzeiten wurden die meisten ihrer Geschichten nicht unter ihrem Namen veröffentlicht oder sie wurde zumindest nur als Co-Autorin ihres Mannes, Scott Fitzgerald, genannt. Dies hatte auch praktische Gründe, bekam ihr Mann durch seine Berühmtheit doch bedeutend mehr Geld für seine Geschichten. Jetzt sind ihre wunderbaren Geschichten im Manesse Verlag  ine einer sehr schönen Ausgabe endlich unter ihrem alleinigen Namen erschienen. 
Die Geschichten von Zelda Fitzgerald bestechen durch eine unglaublich bildhafte Sprache, die die Leser sofort mitnimmt und in die Geschichte eintauchen lässt. Dabei sind viele Geschichten biographisch angehaucht, so ist Zelda selbst ein Südstaatenmädchen, wie einige ihrer Protagonistinnen und wie einer der männlichen Charaktere meldete sich auch ihr Mann Scott zur Armee und kam jedoch nie zum Kriegseinsatz, weil der Krieg vorher zu Ende war. Wie auch ihr Mann bediente sich Zelda an ihren eigenen Erfahrungen und am Leben von Freunden und Familie für ihre Geschichten. Sie handeln von Neid, Eifersucht und gescheiterter Liebe und eben sehr oft von Frauen, die kämpfen müssen, um im Leben zurecht zu kommen, die eben nicht den einfachsten Weg wählen, um glücklich zu werden. 
Himbeeren mit Sahne im Ritz“ ist eine wunderbare Sammlung von Zelda Fitzgeralds Geschichten und die Übersetzerin Eva Bonné lässt Zeldas Sprache auch in der deutschen Übersetzung so leicht und bildhaft wirken, wie sie einmal in Zeldas Kopf entstanden sein muss. Ein großartiges Buch, um es immer wieder lesen und doch immer wieder neues zu entdecken. 

Hier geht es zur Leseprobe im Manesse Verlag. 

Wer sich für das abwechslungsreiche und teils sehr tragische Leben von Zelda und Scott Fitzgerald interessiert, sollte unbedingt ihre Biographie von Michaela Karl "Wir brechen die 10 Gebote und uns den Hals" lesen. Vieles aus den Erzählungen wird einem dabei bekannt vorkommen. 

Freitag, 7. Oktober 2016

Catharina Junk "Auf Null"

Nina ist erst 20 Jahre alt, als sie erfährt, dass sie Leukämie hat. Gerade erst hatte sie ihr Studium und ein neues Leben in Münster begonnen, doch von einer Minute auf die andere ändert sich alles. Ein Jahr verbringt sie im Krankenhaus und kämpft gegen den Krebs, dann wird sie entlassen. Geheilt, aber nicht gesund. Nur schwer findet sie zurück in das Lebe jenseits des Krankenhausalltags, mit Familie und Freunden. Und dann ist da auch noch Erik, den sie eigentlich mag. Jetzt muss sie sich entscheiden, ob sie wieder Vertrauen in das Leben hat oder sich endgültig verschließt.
Catharina Junks Roman „Auf Null“ ist eine wunderbar unterhaltsame, kurzweilige und dennoch tiefgehende Geschichte über den Kampf einer jungen Frau gegen einen unglaublichen Schicksalsschlag. Mit viel Witz erzählt die Autorin von den großen und kleinen Problemen, denen Nina sich plötzlich stellen muss, nachdem sie aus dem Krankenhaus entlassen ist. Sie muss völlig neu herausfinden, was für sie normal ist und wirkt dabei auf ihre Mitmenschen teilweise einfach seltsam. Auch in der Familie hat sich die Dynamik verändert. Besonders schön beschreibt Junk die Beziehung von Nina und ihrem Bruder, der plötzlich „das Kind ohne Krebs“ war. Hier verbindet sie viele Elemente miteinander und zeigt, dass jeder seinen eigenen Weg finden muss, mit der Situation umzugehen. Aber eben auch, dass man vieles lieber mit Humor nehmen sollte, das Leben ist schon ernst genug.

Was auf den ersten Blick vielleicht kitschig klingt, ist es keineswegs. Catharina Junk schafft in ihrem Debütroman den Spagat zwischen Trauer und Humor so unglaublich gut, dass man einfach nur begeistert weiterliest. Dieses Buch ist auf keinen Fall eine traurige Leidensgeschichte, es ist eine Geschichte voller Hoffnung und Lebensfreude, voller Liebe und Spaß. Es gibt sicher nur wenige Bücher, die ein so ernstes Thema auf so leichte und mitnehmende Art aufgreifen, daher kann ich jedem die Lektüre von „Auf Null“ nur ans Herz legen. 

Hier geht es zu weiteren Informationen des Rowohlt Verlags. 

Mittwoch, 5. Oktober 2016

Charlotte Link "Die Entscheidung"

Simon verbringt Weihnachten in der Ferienwohnung seines Vaters in Frankreich. Er vierzig Jahre alt, geschieden, und mit der aktuellen Beziehung will es auch nicht richtig laufen. In dieser Situation trifft er eine Entscheidung, die sein Leben verändern wird. Er sammelt die halb verhungerte und heruntergekommen junge Frau Nathalie Boudin am Strand ein, nimmt sie mit in eine Wohnung und will ihr helfen, wieder auf die Beine zu kommen. Doch stattdessen zieht sie ihn in eine kriminelle Verfolgungsjagd von einem Maßstab, den er kaum abschätzen kann. Mit was für Leuten hat Nathalies Freund, der untergetaucht ist, sich nur eingelassen und warum verfolgen sie jetzt auch Natalie und Simon?
Charlotte Link ist seit Jahre ein Garant für Spannungsliteratur und auch mit ihrem neusten Kriminalroman „Die Entscheidung“ ist ihr wieder eine mitreißende Geschichte gelungen, die einen von Anfang an in Atem hält. Sie erzählt die Handlung aus verschiedenen Perspektiven und mit zahlreichen Personen und Handlungsorten, so dass die ersten Seiten ein klein wenig verwirrend sind. Doch schnell sortiert sich alles, die Hauptfiguren kristallisieren sich heraus und man lässt sich auf die Story ein. Die Grundidee um einen Menschenhändlerring in Osteuropa ist nicht unbedingt neu, doch spannend aufbereitet mit guten Charakteren, die einen durchweg mitnehmen und einen mitfiebern lassen. Simon kann man ebenso wie Nathalie menschlich einige Makel vorwerfen, doch wer ist schon perfekt und ihre Probleme haben die Geschichte für mich nur glaubwürdiger gemacht. Gerade Nathalies Weg wird durch Rückblenden sehr gut beschrieben, so dass man einfach versteht, warum sie handelt wie sie handelt, auch wenn das nicht immer logisch ist.
Für mich ist „Die Entscheidung“ ein großartiger Krimi, den ich nicht mehr aus der Hand legen konnte. Das Buch ist spannend, kurzweilig und packt einen sowohl über die Story als auch die Figuren. Von mir gibt es eine unbedingte Leseeempfehlung, ich war begeistert von dem Buch. 

Hier geht es zur Leseprobe im Blanvalet Verlag. 

Dienstag, 4. Oktober 2016

Allard Schröder "Der Hydrograf"

Graf Franz von Karsch-Kurwitz ist ein junger und leidenschaftlicher Hydrograf, als er sich 1913 auf der Posen nach Valparaíso einschifft. Dies ist für ihn nicht nur eine Forschungsreise, sondern auch die Flucht vor einer arrangierten Ehe mit einer Frau, für die er nichts empfinden kann. An Bord lernt er mit seinen Mitreisenden sehr unterschiedliche Menschen kennen, die aus den verschiedensten Gründen den Kontinent verlassen, unter anderem auch die geheimnisvolle Asta Maris, die Franz völlig in ihren Bann zieht.
Das besondere an Allard Schröders Roman „Der Hydrograf“ ist die ruhige und gleichzeitig klare Sprache, die einen als Leser geradezu in die Geschichte einsaugt. Schröder orientiert sich dabei stilistisch stark an der Zeit, in der er seinen Roman auch ansiedelt, so dass man sich ein ums andere Mal als Leser bei dem Gedanken an beispielsweise Thomas Mann wiederfindet. Franz von Karsch ist geprägt durch eine Vielzahl von Ereignissen aus seiner Kindheit und neigt dazu, sich in seiner Lethargie und schon fast Selbstmitleid zu suhlen. Die Schifffahrt bietet hierfür die besten Voraussetzungen und das Leben seiner Mitreisenden scheint ihm Projektionsfläche für eigene mögliche Abenteuer zu werden. Die Geschichte selbst verläuft sehr ruhig und mit wenigen Aufregern, das spannende an dem Buch ist jedoch Franz‘ Psychologie und sein Blick auf die Welt. Er ist eine fast typische, an den Verhältnissen seiner Zeit leidende Figur des frühen 20. Jahrhunderts. Ein Mann, der ohne materielle Sorgen aufgewachsen ist und es dennoch nicht schafft, glücklich zu sein.
„Der Hydrograf“ ist ein sehr psychologisches Buch, das man nicht einfach weglegen kann. Die Handlungen und Gedanken von Graf Franz von Karsch-Kurwitz bleiben einem noch erhalten und häufig muss man sie auch rückblickend noch einmal prüfen und hinterfragen. Ob er an irgendeinem Punkt in seinem Leben wirklich glücklich geworden ist, wage ich zu bezweifeln. Aber es dies anders gekommen wäre, wenn er diese Schiff nicht bestiegen hätte, glaube nach der Lektüre allerdings auch nicht. Mir hat „Der Hydrograf“ ausgesprochen gut gefallen und ich wüsste in der aktuellen Literatur nichts, was sich mit dem großartigen, wenn auch etwas behäbigen Stil von Allard Schröder direkt vergleichen ließe. 

Hier geht es zu weiteren Informationen im mare Verlag. 

Montag, 3. Oktober 2016

Donal Ryan "Die Gesichter der Wahrheit"

Die Wahrheit hat viele Gesichter, auch in dem kleinen irischen Dorf, dass die Hauptrolle in Donal Ryans Roman „Die Gesichter der Wahrheit“ spielt. Mit dem wirtschaftlichen Abstieg Irlands geht es auch in dem Dorf bergab, der örtliche Bauunternehmer geht Pleite und es kommt heraus, dass er auch seine Arbeiter über den Tisch gezogen hat. Arbeitslosigkeit, Hoffnungslosigkeit und Wut sind die Themen, die die Menschen bewegen und sehr schnell entsteht ein Kreislauf aus Anschuldigungen und Gewalt zwischen den Menschen, die alle nicht mehr wissen, was noch kommen soll.
Wie der Titel schon sagt, gibt es viele Versionen dieser Geschichte und Donal Ryan lässt einundzwanzig Menschen dieses namenlosen Dorfes ihre Version erzählen. Dadurch gewinnt man als Leser einen sehr guten Eindruck von der Situation und gleichzeitig wird auch klar, welche Verkettung von Ereignissen gestartet wurde. Jede Geschichte ist einzigartig und dennoch unweigerlich in das Netz aus Erzählungen eingebettet, die im Dorf kursieren und mal mehr und mal weniger mit der scheinbaren Wahrheit zu tun haben. Jeder ist sich selbst der nächste und aus einem stabilen Gesellschaftsgefüge wird durch den wirtschaftlichen Abstieg ein Scherbenhaufen, der niemals wieder zusammengesetzt werden kann. 
Gerade durch die ständigen Perspektivwechsel hält der Autor die Spannung in „Die Gesichter der Wahrheit“ die ganze Zeit hoch. Sobald man sich an einen Charakter gewöhnt hat, zwingt er den Leser sich mit dem nächsten Leben, der nächsten Katastrophe zu beschäftigen, ohne den großen Spannungsbogen der alle verbindet aus den Augen zu verlieren. 
Es gelingt Ryan ausgezeichnet, die Geschichte zusammenzuhalten und einen als Leser mitzunehmen auf die Reise durch dieses irische Dorf und die vielen Leben, die dort stattfinden. Es ist ein sehr aktueller und lebensnaher Roman, der einen mit sympathischen und unsympathischen Charakteren konfrontiert, doch jedem gibt Ryan die Chance, seine Version zu erzählen. Dies macht das das Buch zu etwas besonderem und einer wirklich beeindruckenden  und überzeugenden Lektüre. 

Hier geht es zu weiteren Informationen und der Leseprobe vom Diogenes Verlag.